Von außen betrachtet sind Klinikclowns in einem Moment da und im nächsten Augenblick wieder weg. Wozu soviel Engagement für ein paar Wimpernschläge der Zeit?
Ich möchte ein bißchen von dem erzählen, weil sich so schwer vorstellen lässt. Was ich mir vor Spielbeginn selbst nie vorstellen kann. Worüber ich hinterher schmunzeln, lachen, weinen oder grübeln muss. Wovon ich selbst nicht verstehe, warum es funktioniert. Könnte ich mich denn einlassen, wenn ich das „Clownsgegenüber“ wäre? Wieso empfangen so viele Menschen in Medizin und Pflege so aufgeschlossen Clowns? Sogar und vor allem diejenigen, die sich in schwer zu bewältigenden Lebenslagen befinden. Sie nehmen die Clowns als zusätzliches Angebot nicht nur an, sie wollen mehr! Klar, manche lehnen Clowns ab und in manchen Situationen sind sie wirklich unpassend. Aber egal an welche Einrichtung ich denke, beinahe überall ist der Bedarf an Clownsbegegnungen höher als das, was wir schaffen können, obwohl wir immer mit vollem Engagement dabei sind.
Clownsbegegnungen
umfassen das ganze Spektrum der Gefühle. Häufig wird am Ende gelacht, auch wenn´s am Anfang ganz und gar nicht danach aussieht.
Herr Krüger war ein Palliativpatient, den vor allem Nono und Hella in vielen sehr ausgelassenen und komischen Begegnungen sehr ins Herz geschlossen haben. Er war immer lebensfroh und lustig. Wir haben viel gelacht, Absurdes erfunden, romantisch musiziert und getanzt. Mutig sah er aber auch den Tatsachen ins Auge und es ging ihm zusehends schlechter bis er verstarb. Unsere letzte Begegnung endete mit seinem Satz: „Habt das doch wieder jeschafft!“ und seinem Lachen. Wir wussten, dass es ihm furchtbar schlecht geht. Die Details erspare ich Ihnen. Wir schauten vorsichtig ins Zimmer. Er schüttelte den Kopf: „Heute nicht!“, „Na gut, wir sagen Dir nur Tach und dann sind wir wieder weg, okay?“, „Na gut …“, „Hallo“, Hella nimmt seine Hand. Herr Krüger muss weinen und ihm ist so übel. „Warte mal, ich hab Düfte dabei, vielleicht hilft ja einer?“ Er stimmt zu und Hella kramt zwei Ölfläschchen aus ihrer grünen Brottasche: „Hier riech mal ´Klarer Kopf`!“ Hella hält ihm eine … -Duftmischung mit Pfefferminz unter die Nase, „Fmh oh ja, das tut gut!“, „Hm, oder doch ´Gute Laune`?“ Jetzt hält sie ihm eine …-Duftmischung mit Citrus und Orange hin. „Fmh, auch gut!“, „Welchen willst Du lieber?“, „Ich brauche beide!“, „Ja, natürlich! Aber wie lassen wir die hier? Ich habs …“ Hella nimmt eine Serviette, dreht daraus eine Rose, tropft in die Blüte „Klarer Kopf“ und auf das Blatt „Gute Laune“. Die Stimmung hat sich gelöst wir freuen uns und Herr Krüger erzählt, dass er noch die Hochzeit seines Sohnes erleben will und dass seine Tochter aus der Schweiz zu Besuch kommt und dass er nach Hause will. Die Psychologin kommt herein. Sie staunt über die gelöste Stimmung und wir verabschieden uns sehr herzlich und Herr Krüger sagt: „Habt das doch wieder jeschafft!“ Er lacht und winkt.
Immer wieder
erleben wir z.B. auf der Palliativstation, wenn wir in der Übergabe die Erlaubnis oder den Auftrag bekommen haben, zu schwer Kranken zu gehen, dass uns auf dem Weg ins Zimmer jemand vom Klinikpersonal abhalten will: „Geht da lieber nicht rein, dem geht´s zu schlecht!“, „Wir wissen Bescheid. Wenn wir merken, dass er unruhiger oder fester wird, gehen wir gleich wieder, versprochen!“ Häufig gehen wir dann rein, halten die Hand, summen alte Melodien, spielen sanft Mundharmonika, Klarinette, Gitarre oder Akkordeon und merken, dass sich die Patienten entspannen oder uns über das Handhaltenwollen zu verstehen geben, bleibt noch!
Manchmal wird die Atmung ruhiger, manchmal ist es ein tiefer Seufzer, manchmal ist die Stirn erst gerunzelt, dann entspannt, manchmal greift eine Hand ins Leere und wir nehmen sie dann schnell, bis manchmal blinzeln sie sogar aus Ihren Augenwinkeln und sagen „danke!“ oder „schön!“ Oft können wir von Unruhe in Ruhe hineinhelfen.
Nur selten
ist die Reaktion auf die Nähe, die wir anbieten, Stress oder Anspannung, dann verabschieden wir uns und gehen ohne Umschweife.
Lässt jemand aus Bitterkeit nicht gern an sich ran,
ist den Clowns, aber auch der Therapie und Pflege gegenüber abweisend, dann erhalten wir Clownsspieler:innen den Auftrag, hartnäckiger zu sein. Bei einem Rausschmiss finden die Clowns dann nicht gleich die richtige Tür oder wenn doch vergessen sie sie aufzumachen und laufen dagegen. „Aua!“ Dann tut die Hand weh und wir bitten: „Kannst Du mal pusten!?“ Und in der Hand erscheint ein Glücksbringer, über den auch die Clowns staunen und der dann häufig doch gern angenommen wird. Bei manchen versuchen wir´s vergeblich, aber unermüdlich. Bei anderen braucht es eins, zwei „Eisbrecher“ und dann sind tiefe und berührende Begegnungen möglich.
Frau Becker z.B. wollte nie,
hat immer ihre Zimmergenossinnen vor den Clowns beschützt, bis Frollein Cloudine sich einmal Rat von ihr bzgl. Hella Propella eingeholt hat: „Hella hat jetzt ´n Vorstellungsgespräch, aber so kann sie da doch nicht hingehen, Frau Becker, wissen Sie Rat?“ Dann arbeiteten die beiden an Hella´s Auftreten: Aufrecht, klar, ruhig körperlich und verbal … Puh, Hella verbarg nicht, wie schwer ihr das fiel, aber sie gab hochmotiviert ihr Bestes! Als es ans Outfit ging, klagte Frollein Cloudine: „Der Schlipper guckt raus, drei Zöppe, dit jeht doch allit nich!“ Frau Becker aber erwiderte: „Doch, das geht, das ist gut so, genau richtig, so muss das bleiben!“ und lachte zum 1. Mal laut und herzhaft. Die Clowns waren verblüfft und ermutigt und bedankten sich ganz herzlich mit Glitzerherz.
Wir waren total glücklich über diese Wendung.
Beim nächsten Clownsbesuch lugte Frau Becker aus ihrem Zimmer, als sie Roberta und Hella auf dem Flur mit einer größeren Patientenrunde auf dem Flur hörte. Hella rief sie, aber dazu kommen wollte sie nicht. Sie ging wieder in ihr Zimmer und die Tür blieb zu, bis wir davor standen und uns Gedanken machten, wie wir sie diesmal für uns gewinnen könnten … Da ging die Tür von innen auf und Frau Becker freute sich die beiden Clowns zu begrüßen. Wir berichteten und zeigten, was auf dem Flur gerade passiert war und sie vertraute sich uns an, ich weiß nicht mehr genau was … ich weiß nur, dass wir ihr zuhörten und für sie sangen und sie meine Hand nahm und mein Gesicht streichelte …, wieder ich war verblüfft und erwiderte ihre Zärtlichkeit und schenkte ihr am Ende einen wunderschönen Holzengel mit vielen guten Wünschen.
Meine Kollegin Esther alias Roberta konnte die Vorgeschichte kaum mit dem Erlebten zusammen bringen.
Einmal erfuhren wir in der Übergabe,
dass eine ältere Patientin, Frau F. häufig aggressiv reagiert und dass wir uns auch wirklich vor ihren Fäusten in acht nehmen müssen.
Als wir ins Zimmer kamen, blinzelte sie. Auf unsere Frage, ob wir reinkommen dürfen, reagierte sie nicht. Vorsichtig gingen wir ins Zimmer, sprachen mit ihr, desinfizierten unsere Hände und traten etwas näher an sie heran. Sie lag im Bett. Plötzlich schrie sie auf und schlug nach uns. Wir waren ja darauf gefasst, wichen zurück und äußerten unseren Schreck. Hella erbat von Nono ein paar Seifenblasen und Fächerwind, das würde ihr helfen, den Schreck wieder los zu werden. „Hui, wenn ich mich beruhigen will, dann hilft mir auch immer Opa´s Mundharmonika, darf ich?“ … Hella spielte eine altbekannte Melodie. Nono pustete Seifenblasen und fächerte. Die Gesichtszüge von Frau F. wurden weicher. „Am Brunnen vor dem Tore …“ Sie stimmte ein! Hella sang mit. Nono spielte Akkordeon. Nono und Frau F. liefen die Tränen. Hella klaute Nono ein Taschentuch mit roten Herzen für Frau F. und trocknete Tränen. Ihr huschte ein Lächeln übers Gesicht. Sie ließ Hella´s Nähe zu und sang mit ihr das ganze Lied.
Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum…
Gemeinsam fanden wir Beruhigung und Nähe und gewannen ihr Lächeln, ihren offenen Blick, ihren Dank.
„Auf wiedersehen, alles Gute und ganz vielen lieben Dank für diesen schönen Augenblick!“
Eine SCHÖNe Geschichte
trug sich mit Floppi in einem Seniorenheim zu. Gleich am Anfang unseres Clownsbesuchs entführte uns die Leiterin des Hauses mit den Worten: „Ihr müsst unbedingt zu Eurer Freundin Frau Schön. Sie liegt im Sterben!“ Wir gucken sie fragend an: „Wer ist Frau Schön?“, „Ihr kennt sie, Ihr werdet schon sehen!“ Da wir die meisten Senioren in Fluren und Esszimmern mit vielen anderen treffen, schaffen wir es nur selten uns ihre Namen zu merken. An ihrem Zimmer angekommen, gehen wir vorsichtig hinein und an ihr Bett. Ihre Augen sind zu. Wir erkennen sie, nicken uns zu, Floppi zückt seine Ukulele. Wir wissen, dass sie das Lied „Für mich soll´s rote Rosen regnen“ liebt. Das haben wir schon oft mit ihr zusammen gesungen. Sie kann den Text, wir nur mit ihrer Hilfe. Hella beugt sich vor berührt ihre Schulter und Hand und sagt: „Ach, Sie sind Frau Schön, das wusste ich gar nicht. So ein schöner Name! … Hmmm, wollen Sie mich heiraten?“ Sie blinzelt, ihr huscht Erheiterung durch´s Gesicht und sie bemüht ihre brüchige Stimme: „Bisschen spät!“ Wir lachen und weinen und singen „Für Dich soll´s rote Rosen regnen …“ soweit wir ohne sie kommen, dann summen wir zu Floppi´s Ukulele.
Frau B. war professionelle Sängerin
und wir lernten wir in einem Seniorenheim kennen. Nur selten trafen wir sie außerhalb ihres Zimmers an. Anfangs, wenn wir sie besuchen wollten, lehnte sie den Quatsch ab und wollte ihre Ruhe. Bis Hella ihr Tipps für ihren Gesang von Kunstliedern abringen konnte. Wir gaben unser Bestes und sie erwärmte sich für uns Clowns. Manchmal trafen wir sie mit ihrer Tochter. Gemeinsam waren wir immer fröhlich und ausgelassen. Dann durften es auch mal ausgedachte Quatschlieder sein. Immer öfter klagte sie über Schmerzen, dann bekam sie von uns eine kleine Massage und ein Lied ihrer Wahl. Bald lag sie nur noch und schlief meistens, wenn wir kamen. Dann schlichen wir uns wieder aus ihrem Zimmer. Einmal wachte sie dabei doch auf, wir gingen zurück: „Oh, hallo liebe Frau B., bitte entschuldigen Sie, wir wollten Sie nicht wecken!“ Sie hob ihre Hand. Hella hielt sie. „Kommt ruhig rein, wenn ich schlafe und singt mir ein Schlaflied!“, „Ehrlich, das dürfen wir?“ Sie nickt. „Okay, versprochen! Welches ist denn ihr liebstes Schlaflied?“, „Der Mond ist aufgegangen.“ Darüber freuten wir uns und sangen es für sie. Sie lächelte und schlief wieder ein. Wir schlichen uns davon. Einmal noch trafen wir sie schlafend an, sangen für sie. Sie blinzelte aus ihren Augenwinkeln lächelte und schlief ruhig weiter. Bei unserem nächsten Besuch 14 Tage später, erfuhren wir in der Übergabe am Morgen, dass Frau B. im Sterben liegt und dass ihre Tochter da ist. Wir baten Stephie, unsere Ansprechpartnerin im Haus, die Tochter zu fragen, ob sie uns sehen möchte. Als wir uns umzogen, bekamen wir ein JA ausgerichtet, sollten aber trotzdem dem normalen Ablauf folgen und in der Gruppe im EG anfangen. Während unseres Startrituals, sagte ich-Hella zu Noriko-Nono, „Am liebsten würde ich zu erst zu Frau B. gehen!?“ Sie sah mich an und schüttelte den Kopf. … und los! Die Senioren im EG warteten schon und sie freuten sich sehr über Nono und Hella Propella. Wir schunkelten, tanzten, hielten Hände, lachten, trockneten Tränen als Stephie kam und uns sagte „Bringt es hier in Ruhe zum Ende und dann kommt hoch. Frau B. ist gerade gestorben, aber ihre Tochter ist noch da.“, „Okay …“ Wir machten unsere Begegnungen mit den Senioren im EG rund, verabschiedeten uns, gingen zum Fahrstuhl, sahen uns an, sahen in den Spiegel im Fahrstuhl. Noriko fragte, ob sie die Nase abnehmen soll. Sie kennt die Tochter auch privat. Ich sagte: „Mach nach Gefühl!“ Wir stiegen aus, gingen zum Zimmer von Frau B.. Die Tür ging auf und eine Mitarbeiterin des Hauses wischte sich ihre Tränen aus dem Gesicht, umarmte uns und sagte: „Geht ruhig zu ihr! Wir haben sie gerade schön gemacht.“ … und dann standen wir allein im Zimmer bei der toten Frau B.. Keine Tochter da. Ich sah Noriko-Nono an sie nickte mir zu und ich setzte mich auf den Stuhl am Bett und sah Frau B. an. Sie sah schön aus, friedlich, fast sah es so aus als würde sie lächeln. Ihre Hände hatten sie ihr auf dem Bauch übereinander gelegt und ihr zarte Blümchen hineingegeben. Ich schloss meine Augen, fragte mich, ob Frau B. an Gott glaubt und ob ihr buddhistische Wunschgebete auch gut tun? Andere kann ich nicht. Ich betete für sie. So waren wir eine Weile ganz ruhig bei ihr. Als ich meinen Kopf zu Noriko-Nono drehte. Sie stand neben mir, hatte ihre rote Nase auf, die Augen geschlossen und die Hände vor der Brust zusammengeführt. Sie ist Japanerin und betete buddhisitsch. Ich musste lachen und Nono sah mich an! Wir waren wohl ein Bild für die Götter. Ihr Mund verzog sich. Wir wischten unsere Tränen weg, streichelten Frau B. Hände und Wange, sangen für sie „Der Mond ist aufgegangen“, hatten das Gefühl, dass sie ganz da ist. Wir verabschiedeten uns von ihr und gingen wieder zu den lebenden Senioren im Dachgeschoss.
Plötzlich sah ich die Frau, von der wir seit unserer Übergabe vom Morgen glaubten, dass sie gestorben sei. Ich sah Nono an und sah dass es ihr genauso erging. Wir waren völlig verdreht, gingen zu ihr und sagten ihr und allen anderen auch, wie sehr wir uns freuten, sie zu sehen. Es wurde eine ausgelassene, lustige Wiedersehensfeier.
Für Noriko und mich war es ein besonders bewegender Clownsbesuch im Seniorenheim, den wir anschließend auch privat besonders ausklingen ließen. Ich erinnere mich an ein wundersames kleines unbesuchtes Café auf einer Insel, mit schönen Bildern an den Wänden und guter Literatur auf dem Fensterbrett. Drinnen war es warm und draußen kalt und die Sonne schien. Diesmal hielten wir die Zeit gemeinsam an. Wir staunten über unsere ähnliche Art dem Tod zu begegnen, tauschten uns darüber und über Gott und die Welt aus.
Ich bin dankbar und glücklich über unsere gemeinsamen Wimpernschläge der Zeit.
Seit 2002 bin ich als Clown in Medizin und Pflege aktiv
und es gibt viele Begegnungen mit Menschen, die mich tief im Kern meines Wesens berühren.
Hella Propella bewegt sich dichter am Kern meines Wesens als mir das als Nicola im Alltag oft möglich ist. Ich erteilte ihr die Auflage, sich von meiner Kritik und Wertung so weit wie möglich zu befreien. Am Anfang war das für Hella schwer, denn ich war voller Wertung und oft vernichtender Kritik. Da ich aber bemerkte, wie erfolgreich Hella dadurch wurde und dass sie genau dafür und auch für die Konflikte, die ihr dadurch entstehen, sehr geliebt wird, gelang es ihr immer besser. Auch mein Leben als Nicola wurde und wird durch Hella Propellas Sicht, ihren Mut, ihre Impulse und Spielfreude weicher, weiter, leichter, freier und heller : )